Warum Aufgeben keine Option ist und ich trotzdem meine Wettkämpfe absage

Drei Wochen vor dem Halbmarathon habe ich normalerweise die intensivste Trainingswoche. Die Woche, in der ich die letzte Steigerung mache und das letzte Mal alles aus mir heraushole. Und dieses Mal auch gleichzeitig die erste Woche im letzten Praktikum im Krankenhaus – in einer Situation, die mich alles andere als zufrieden stellt.

Weißt du, ich bin vor über einem Jahr meinen letzten Wettkampf gelaufen. Und vor ziemlich genau einem Jahr habe ich meinen letzten Wettkampf wegen einer Verletzung absagen müssen. Was hab ich daraus gelernt? Eine ganze Menge. Was habe ich verloren? Vielleicht ein bisschen Stolz. Ein bisschen Mut und ein bisschen Ehrgeiz, aber alles Dinge, die auch irgendwann zurückkamen oder kommen werden.

Aber dieses Jahr wollte ich es wieder. Ich wollte endlich wieder die Wettkampfluft schnuppern. Dieses endorphinüberflutete Gefühl, wenn du an den Menschenmassen vorbeiziehst und dich wildfremde Menschen bejubeln. Dafür, dass du läufst. Dass du etwas tust, was du liebst und was dir so viel Freiheit und Genuss beschert.

Und ich hab mich gut vorbereitet. Vorbildlich habe ich dieses Mal mein Training gesteigert. Schritt für Schritt bin ich nach meinem Ermüdungsbruch zurückgekehrt ins Lauftraining, habe anfangs nur Gehintervalle gemacht, dann meine ersten Kilometer gelaufen und das Tempo gedrosselt und erst als wirklich alles hielt und ich mich sicher fühlte, habe ich wieder was riskiert und mir ein neues Ziel gesetzt, das „einfach nur wieder laufen können“ überstieg. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich das hätte schaffen können. Ich bin mir auch jetzt noch sicher, dass ich alles richtig gemacht habe. Zumindest auf Trainings- und Ernährungsebene ist dieses Mal nichts schief gelaufen.

Aber eine Variable habe ich in meiner Rechnung vergessen: Meine Lebensumstände.

Ich hab das hier schon oft gesagt. Persönlicher Stress, oder auch beruflicher oder emotionaler, ist Gift für’s Training. Gift für den Körper und ein echtes Hindernis, wenn es darum geht, Leistung zu erzielen. Und das habe ich trotzdem wieder unterschätzt, obwohl ich so genau wusste, dass diese Praktika im Krankenhaus an die Substanz gehen. Emotional wie körperlich ist das Stress für mich.
Und so kommt es, dass ich wieder vor einem Wettkampf stehe und eine entzündete Schienbeinkante habe.
„Aber andere Leute,…“, spricht es dann manchmal aus meinem vorwurfsvollen Unterbewusstsein. Ja, andere Leute. Aber die haben vielleicht auch geregelte Lebensumstände. Einen festen Job, in dem sich nicht viel ändert, eine Familie, die gleich bleibt, einen konstanten Alltag. Und in dem sie vor Allem zufrieden sind.
Und viel mehr sind andere Leute nicht ich – das ist der ganz entscheidende Punkt.

Denn ich kann das nicht. Ich kann nicht von heute auf morgen einen 8 Stunden Arbeitstag an 5 Tagen die Woche in einem Beruf, der mich emotional und körperlich enorm fordert, leisten und neu beginnen und gleichzeitig die Höchstleistungen von meinem Körper im Training abverlangen. Eigentlich ganz einleuchtend, oder? Und eigentlich nicht verwunderlich, dass ich dann mit Schienbeinschmerzen und irritierten Nerven reagiere.

Ja und deshalb bin ich an einem ähnlichen Punkt wie letztes Jahr vor meinem Lieblingshalbmarathon in Hamburg – dem Hellahalbmarathon – starte ich oder nicht? Schienbeinkantensydrome sind schließlich nichts Seltenes und nichts Schlimmes und letztes Jahr vor dem Marathon haben sie mich auch nicht an einem der schönsten Tage meines Lebens gehindert.
Die Vernunft gegen das Gefühl, das Gefühl gegen das Unterbewusstsein und der Körper gegen den Kopf. Ich weiß, wo es lang geht, ich kenne die richtige Entscheidung und ich weiß, dass es wehtut. Und trotzdem tue ich das, was sich im ersten Moment als „aufgeben“ anfühlt, aber im zweiten Moment nichts anderes ist als kämpfen und auf mich zu achten. Nicht zu starten, ein bisschen in Selbstmitleid suhlen und das Halbmarathon-Comeback eben noch um ein paar Wochen oder Monate verschieben – und daraus wieder neue Kraft zu gewinnen. Dann, wenn es dran ist und ich die Zeit und Freiheit habe. Und das ist so ungefähr noch mein ganzes Leben ab Oktober.

Weil es die falsche Baustelle ist, an der ich mich gerade aufgehalten habe und in die ich all meine Energie gesteckt habe. Es geht nicht um den Halbmarathon, sondern um meine Gesundheit und die letzten Monate meiner Ausbildung. Damit ich in diesem Praktikum nicht wieder so an meine Grenzen gerate. Denn dieser Halbmarathon, der wird kein #Selbstlaeufer. Dieser Halbmarathon wird eher so ein #Gegendiewandlaeufer.



Author: Paula Thomsen

Paula Thomsen ist die Gründerin von Laufvernarrt. Mit ihrer gebündelten Expertise als staatlich anerkannte Physiotherapeutin, Ernährungsberaterin und Personal Trainerin widmet sie sich ganzheitlich und fundiert den Themen rund um Fitness, Ernährung, Training und mentale Gesundheit.

18 thoughts on “Warum Aufgeben keine Option ist und ich trotzdem meine Wettkämpfe absage

  1. Gute Entscheidung!
    Ich kenne das nur zu gut. Letztes Jahr habe ich ein Rennen abgesagt auf das ich mich und meinen Hund ein Jahr lang vorbereitet habe. (Irondog) Jeden Morgen vor der Arbeit um 05:00 die Nachbarschaft geweckt, den Hund eingespannt (Scooterjöring & canicross) und langsam aber sicher die Performance gesteigert… aber dann: extremstress wegen der Abreisevorbereitung nach Finnland (arbeite im Winter als Huskyguide auf einer Huskyfarm (www.eräkeskus.com), Stress an der Arbeit und einige Meter Holz mussten gemacht werden, Grundstück „winterfit“ machen etc. etc. … So sagte ich ab, war traurig und bereute es am Ende nicht…

    Bleib‘ achtsam und höre auf Dich

    Es grüsst „der alte Mann“

    1. Danke Frank, ich kann mir vorstellen, wie schwer es dir fiel, das Rennen abzusagen. Und ja, Bereuen wird man solche Entscheidungen mit Sicherheit nie! 🙂

  2. Wie schön du das in Worte gefasst hast.
    Ich liebe deine motivierend Worte wirklich sehr und du öffnest einem immer wieder die Augen, umso mehr hoffe ich jeden Mal, dass du die Worte auch für dich nehmen kannst.
    Ich finde es eine starke Entscheidung von dir und wünsche dir noch ganz ganz viel Kraft für die letzten Wochen deines Praktikums.

    Alles Liebe veg.fruitia

  3. Nach Regen kommt Sonne!
    Kann mich aktuell sehr gut in deine Situation einfühlen.
    Habe erst vor 5 Wochen mein Jahresziel abgesagt. Mich hat im April eine Grippe erwischt und meinen durch Übertraining anfälligen Körper völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Nach fünf Wochen Pause bin ich wieder ins Training eingestiegen und bin am 12.6.2016 völlig schmerz- und stressfrei zu einen alternativen Wettkampf gestartet. Ich konnte hierbei genügend Glückshormone sammeln und bin aktuell in einer ansteigenden Form.
    Wie du so schön schreibst, war auch bei mit etwas Stolz und Eitelkeit verletzt.
    Mental muss es passen, sonst wird das wirklich nichts mit den Glücksgefühlen und Bestzeiten.
    Heute melde ich mich noch zum Marathon in München an und werde dort die Früchte meiner klugen Absage einholen. Oft sind ein Schritt zurück, 3 Schritte nach vorne. So wirds auch bei dir sein.
    Schliesse das Praktikum ab und gib dann im Spätsommer deine Visitenkarte bei den Wettkämpfen ab.

    Good luck and keep calm

  4. Ich kann das total nachvollziehen! Manchmal läuft es eben nicht so wie man es gerne hätte… und das ist auch ok. Man kann eben nicht mit einem Hintern auf 5 Hochzeiten tanzen. Ich hatte sowas Ähnliches bei meinem Halbmarathon letztes Jahr. Auf der Uni war ich total eingeteilt weil ich gerade die Daten für meine Diplomarbeit erhoben habe, hatte einen Autounfall – Peitschenschlagsyndrom, was hieß steifer Nacken & Training war unmöglich und noch dazu totale Geldsorgen weil mein Auto ein Totalschaden war. Ich habe zwar reingebissen und bin ihn gelaufen, aber nicht mit der Zeit und der Fitness die ich mir erhofft hätte. Dieses Jahr war ich auch so demotiviert, dass ich meinen 10km Wettkampf abgesagt habe … es fühlte sich für mich auch furchtbar an… aber es ist OK.
    Ich bin ja sowieso der Meinung (zumindest ist es bei mir so), dass ich eigentlich wenig gelaufen bin nur des Laufens Willen – sondern eher um mir (und vielleicht auch anderen) was beweisen zu können.
    Damit habe ich aufgehört.
    Ich finde es super, dass du auf deinen Körper hörst, dir jetzt andere Prioritäten gesetzt hast und optimistisch bleibst!

    Ich schick dir ne Portion Glitzer und GoodVibes liebe Paula! <3

    1. Ach Sabrina, danke dir 🙂 Ja, ich erinnere mich noch an deinen Halbmarathon! Aber wie du schon sagst, manchmal wollen wir auf zu vielen Hochzeiten tanzen. Schön, dass du auch allmählich deinen Weg findest – und ja, es ist leider bei zu vielen Menschen so, dass sie nicht laufen, weil sie das laufen lieben, sondern sich etwas zu beweisen… Drücker <3

  5. Ich kann nicht sagen das ich das kenne, da ich mehr oder weniger das Laufen zum Selbstzweck betreibe. Auch wenn mich nach meinen ersten Marathon Erfahrungen es mehr und mehr juckt noch mehr zu machen ( leisten ).
    Allerdings finde ich Deine Entscheidung sehr gut und wer weiß vielleicht ist gerade dass das was einen #Selbstläufer ausmacht.
    Auf seinen Körper zu hören, Prioritäten zu setzen und als Ergebnis davon sich mit noch mehr Spaß und Leistung an die nächste Aufgabe zu machen.

    Ich bin sicher das alle von uns die das lesen die schönsten Ecken rund um die Alster von Dir grüßen werden mit dem Hinweis das Du sicher nächstes Jahr wieder selber vorbei kommst.

    Liebe Grüße André

    1. Lieber André, danke für diese netten Worte 🙂 Du hast so Recht, es ist genau diese Achtsamkeit, die einen Selbstläufer ausmacht! Deshalb weiss ich auch umso mehr, dass es die richtige Entscheidung ist 🙂 Ich wünsch dir einen ganz tollen Lauf!

  6. Hm, so ne Entscheidung ist echt scheiße schwer! Kann gut verstehen, dass du dich nicht leicht tust damit, zumal ich die Leier mit dem Schienbei kenne… Aber ich glaube, dass du alles richtig machst. Nicht nur deiner Gesundheit wegen, sondern auch deinen Lesern zuliebe. Du bist sicherlich für viele ein Vorbild. Aber als solches hast eben auch eine Verantwortung. Ich finds gut, dass du ganz klar machst, dass es seinen Preis hat, seinen Körper zu stählen. Und dass es die längerfristigen Konsequenzen einfach manchmal nicht wert ist. Wär schön, wenn noch mehr Leute so ehrlich zu sich und anderen wären… Wünsch dir und deinen Schienbeinen schnelle Erholung und ein ansonsten verlustloses Ende deines Praktikums!

    1. Ach danke Lotta für deine lieben Worte 🙂 Ja, du hast Recht! Mit ner gewissen Reichweite trage ich eben nicht mal mehr nur die Verantwortung für mich und meine Gesundheit, sondern inspiriere auch viele Menschen für ihre eigenen Entscheidungen. Es wird schon alles, zumal das Schienbein ja bekanntlich eher nervig als ein Weltuntergang ist 🙂

  7. Hey…..

    Ich verstehe Dich all zu gut. Es ist schwer, wenn Du Dich auf etwas optimal vorbereitet hast und sich im Leben eben nicht immer alles Perfekt entwickelt…
    Ich habe dieses Jahr auch einige Wettkämpfe abgesagt, was mir sehr schwer viel, so dass ich nicht mal hin gegangen bin um meine Freunde anzufeuern…..aber gerade Du wirst das meistern und das wird Dich auch nochmals stärken.

    Viel Erfolg weiterhin,

    Ronny

    1. Oh Ronny, du sagst es! Ich hab inzwischen so viele Wettkämpfe abgesagt (fast mehr als durchgezogen) und das ist so schmerzhaft, aber eben immer die richtige Entscheidung! Kann es sehr gut nachvollziehen, dass du dann auch nicht zum Anfeuern gegangen bist. Dir auch viel Erfolg 🙂

  8. Eine schwierige Entscheidung, die um so mehr schmerzt, wenn man gesundheitsbedingt länger pausieren musste und dann auch noch gut vorbereitet ist.
    Aber du machst es genau richtig! Du hast nur diesen einen Körper und kein Lauf dieser Welt ist es wert, deinem Körper Schaden zu zufügen und deine Psyche und Physis so zu belasten!
    Pack das Praktikum an, rocke es so gut du kannst und dann kann das Laufen wieder kommen, mit vollem Einsatz!
    Liebe Grüße
    Jenny

  9. Liebe Paula,

    ich wollte eigentlich diesen Herbst meinen ersten Marathon laufen, ich war in der Form meines Lebens, Laufen ist mein Leben, tja, und dann kamen mir die Schienbeine dazwischen. Begonnen hat es im Januar, so richtig realisiert habe ich es leider erst im Juni. Ich habs verdrängt, bin Wettkämpfe gelaufen, getapet, mit Schmerzmitteln, hab immer mal 2 Wochen halbherzig pausiert, dann aber immer (zu früh!) wieder angefangen, und dann musste ich irgendwann mitten im Training stehenbleiben und es ging gar nicht mehr. Jetzt hab ich ein halbes Jahr ein komplettes Laufverbot. Und, naja, das ist dann doch eher ein Weltuntergang als nervig. Die Hälfte ist fast rum und ich freue mich so sehr auf den November, wenn ich wieder „darf“. Vielleicht könntest du ja bis dahin mal deine Erfahrungen mit den Shin Splints und deine Tipps zur Prävention hier teilen? Alles Gute dir!

    Luise

    1. Liebe Luis. entschuldige meine unheimlich späte Antwort – Dein Kommentar war untergegangen in den Tiefen meines Blogs. Erstmal: Gute Besserung!! Ich schreibe mal einen Artikel zu Shin Splints, der steht schon lange auf meiner Liste. Liebsten Gruß :*

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert